1990

Am 05.02. erschien die Single Enjoy the Silence / Memphisto / Sibeling. Es wurden verschiedene Versionen von Enjoy the Silence veröffentlicht - den Hands and Feet Mix, den Ecstatic Dub Edit, die Bass Line-Version, die Harmonium-Version, die nahe am Original-Demo ist, die Ricki Tik Tik Mix Promo Version und The Quad: Final Mix. Sibeling, dessen Titel sich auf den finnischen Komponisten Jean Sibelius bezieht, und Memphisto, bei dem es sich, laut Martin, um einen Gedankenfilm handelt, in dem er sich Elvis als Teufel vorstellte, sind beides Instrumentalsongs und wurden nicht in unterschiedlichen Versionen aufgenommen. Für das Video zu Enjoy the Silence wurde der seltene UK Promo Mix verwendet.
Enjoy the Silence wurde zu einer der bekanntesten und zur erfolgreichsten Single überhaupt, erreichte Platz 6 in den britischen Charts, Platz 8 in den USA und brachte der Band in den USA und in Deutschland Gold ein. Außerdem gewannen DM damit bei den Brit Awards 1991.

Enjoy the Silence war ursprünglich als Ballade gedacht, ehe Alan die Idee hatte, sie schneller zu machen, mehr Beat darunter zu legen. "Als ich das Demo zu Enjoy the Silence hörte, war das Erste, was mir dazu einfiel, dass Neil Tennant es singen könnte. Etwas an der Zeile All I ever wanted klang sehr nach Hamster ... äh ... Pet Shop für mich. Martins Demos beinhalteten immer die kompletten Texte, variierten musikalisch aber von sehr detailliert bis hin zu sehr simpel. Bei diesem Song hatte ich das Gefühl, dass es aufgrund des großen kommerziellen Potenzials geradezu kriminell gewesen wäre, ihn als Ballade aufnehmen. Er hatte eine gute Melodie, die danach schrie, die Behandlung zu erfahren, die sie dann auch erhielt. Flood und ich arbeiteten das Grundgerüst aus, bevor wir Martin dazu riefen, um die Gitarrenriffe hinzuzufügen."[1]
Martin war über diese Entwicklung anfangs nicht sonderlich begeistert. "Ich dachte, dass die Natur des Songs, weißt du, eben genieße die Stille war. Daher sollte er eine ruhige Atmosphäre ausstrahlen. Es dauerte eine Weile, ehe ich mich an die neue Idee gewöhnt hatte, aber als wir weiter daran arbeiteten und den Gitarrenriff hinzufügten, passte es für mich."[2]
Dave: "Ich weiß noch, wie er da saß und spielte, und dann kam er mit diesem Riff an, und dann sang ich den Song, und alle waren überrascht, dass ich so gut sang - einschließlich mir selbst." (lacht)
Fletch: "Es war das erste Mal in unserer gesamten Karriere, dass wir dachten, wir hätten einen Hit geschrieben. Wir wussten es von Anfang an."

Ähnliches kann man über das Video sagen, obwohl DM Corbijns Konzept zunächst überhaupt nicht mochten. Besonders Dave war skeptisch, und die Band fragte Corbijn sogar, ein anderes Konzept zu entwickeln. Aber später änderte nicht nur Dave seine Meinung: "Enjoy the Silence war Antons [Corbijn] bestes Video."
Fletch: "Wir gingen ins Studio, und Anton sagte, es würde eine Weile dauern. Und nach einer Stunde sagte er, wir könnten gehen ... und der arme Dave musste sechs Tage damit zubringen, bei eiskalten Bedingungen zu filmen."
Dave: "Wir haben eine Woche gebraucht, um das zu filmen. Es war ziemlich harte Arbeit, aber es hat auch Spaß gemacht. Ich wurde als König angezogen, mit Krone und allem. Wir waren dann in Portugal, in Schottland, in Balmoral, in den französischen Alpen ... Anton, Richard, der Produzent, und ich reisten kreuz und quer durch Europa. Es gibt aber Szenen in dem Video, die nicht mich zeigen. Gegen Ende hatte ich es satt, ich wollte nur zurück ins Hotel. Wir hatten diesen Helikopter genommen und waren auf diesen Berg geflogen, und Anton wollte, dass ich diese Szene spielte, bei der ich weit, weit weg bin, und da war diese schöne Landschaft und all der Schnee, und mir war so kalt. Und so sagte ich: 'Weißt du was, Richard?', ich nahm die Krone ab, ich setzte sie auf seinen Kopf, ich nahm die Robe ab, ich zog sie ihm an, ich sagte: 'Jetzt machst du das.' Und ich ging zum Helikopter, flog runter ins Hotel und trank eine Tasse Kakao."[3]
Bekannt ist auch das Promovideo, das von einem französischen Sender gedreht wurde, bei dem die Band auf dem World Trade Center in New York steht und Enjoy the Silence spielt.



Enjoy The Silence

(Enjoy the Silence - mit freundlicher Genehmigung von © Ingo B.)



Zu dieser Zeit erlebte die Band etwas, das sie so vorher nicht gekannt hatte, zumindest nicht in diesem Ausmaß: hip sein.
Am 01.03. gaben Dave und Alan ein Interview bei einem Radiosender in Madrid. Als sie zum Auto zurückkamen, wurden sie von rund 500 Fans empfangen. Der Fahrer wollte eilig eine Abkürzung nehmen, wurde aber von einem LKW aufgehalten, der die Straße blockierte, sodass die Fans das Auto einholen konnten, es umringten und fast umgeworfen hätten.

Am 19.03. wurde das Album Violator veröffentlicht, das zum kommerziell erfolgreichsten der Band wurde. Bis 2010 waren von Violator mehr als 15 Millionen Exemplare verkauft worden. Damit ist es bis heute das am häufigsten verkaufte Album der Band.
Einen Tag nach Erscheinen von Violator kamen DM zu Wherehouse Records, einem großen Plattenladen in L.A., um das Album zu signieren. Berichten zufolge sollen rund 5.000 Fans schon vier Tage davor rund um den Laden kampiert haben. Zum Signiertermin kamen dann etwa 20.000 Leute. Der Verkehr brach zusammen, die Polizei versuchte, die Lage unter Kontrolle zu bringen, gab nach 90 Minuten jedoch auf und brach die Aktion ab, eskortierte DM zu ihrem Hotel zurück, um Schlimmeres zu verhindern. Dennoch soll es etliche Zwischenfälle und sogar Verletzte gegeben haben.
Dave: "Das war ziemlich beängstigend. Das Ganze geriet außer Kontrolle. Wir hatten nicht wissen können, dass da so viele Leute auftauchen würden. Die haben da diese riesigen Glasfenster, und die Fans drückten dagegen. Man konnte fühlen, wie die Spannung stieg. Wir sahen einander an und sagten: 'Wir müssen hier raus!'"
Martin: "Irgendwann geriet es so außer Kontrolle, dass die Polizei uns sagte, wir sollten abbrechen. Also kehrten wir ins Hotel zurück, schalteten den Fernseher ein, und wir waren überall in den Nachrichten."[4]
Dave: "Wir saßen alle davor und zappten uns durch die Nachrichtenkanäle, und es kam: 'Die englische Rockband Dee-Pesh Mode verursachte ein Verkehrschaos.'" (lacht) "Es war lustig, sich das anzusehen."[5]
Ironischerweise stellte dieser Zwischenfall jedoch den endgültigen Durchbruch in den USA dar, da DM nun von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurden.

Übrigens - wusstest du, dass Violator nicht nur das erfolgreichste Album ist, sondern auch an der Spitze der Lieblingsalben in nahezu allen Umfragen auf zahlreichen Fan-Foren und -Webseiten steht? Acht verschiedene Umfragen zusammengenommen ergaben, dass Violator einsam an der Spitze steht, vor SOFAD, Music for the Masses, Black Celebration und Ultra. Dies sind die Top 5. A Broken Frame liegt auf dem letzten Platz. (Einige dieser Umfragen wurden vor der Veröffentlichung von SOTU durchgeführt, aber alle beinhalten Playing the Angel.)


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Ich erhalte oft Emails von Lesern, die mich nach der Bedeutung von Songtexten fragen. Manchmal sind Martins Texte recht eindeutig, aber häufig sind sie ambivalent und schwierig zu interpretieren. (Definitiv falsch ist übrigens das, was ich oft in Foren lese, nämlich, dass man die Songs in jede beliebige Richtung interpretieren kann. Interpretation bedeutet, dass man eine mögliche Bedeutung anhand aller Zeilen im Text belegen können muss. Wenn man also beispielsweise meint, ein Text handele von Drogen, die Hälfte der Zeilen passt aber nicht zu dieser Annahme, wird es wohl nicht darum gehen. Etwas vollkommen anderes ist die persönliche Bedeutung eines Songs, die mit einer individuellen Erfahrung verknüpft ist.)
Es gibt einige immer wiederkehrende Themen in Martins Texten, sodass man sich daran zumindest orientieren kann, wenn man versucht, einen Ansatzpunkt zu finden. Dennoch ist es nicht immer leicht, zu verstehen, welche Art von Persönlichkeit Martin tatsächlich ist, zumal er nicht gern über sich und seine Songs spricht.
Martin: "Ich schreibe nur über Dinge, die mich berühren. Ich finde es langweilig, Songs zu schreiben, die 'sicher' sind, die nirgendwo hinführen, in denen nichts passiert. Ich weiß, Clean hat so ein Heiligen-Image, das sich mit dem Sex-Thema verbindet. Dies sind zwei Dinge, die ich gern miteinander verbinde."[6]
Gerade in Deutschland wird seitens der Fans gern angenommen, bei Clean ginge es um Drogen. Im Englischen spricht man jedoch mehr von "being sober", wenn man meint, dass man drogenfrei ist, "clean sein" ist beinahe eher ein deutscher Begriff. Wenn man sich den Text zu Clean genauer ansieht, entdeckt man drei von Martins Lieblingsthemen - Religion, (I don't claim to know where my holiness goes), der Verlust bzw. die Suche nach Unschuld, wenn man älter wird, (as the years go by all the feelings inside they twist and they turn as they ride with the tide), und Sex (I just know what I like that is starting to show sometimes). Somit steht "clean" hier eher für innere Klarheit, Frieden oder "heilige" Unschuld.

Martin: "Ich war nie ein Christ, aber ich bin zwei Jahre lange regelmäßig in die Kirche gegangen, was sicherlich auf mich abgefärbt hat. Ich bin nahezu besessen von der Idee des Guten und des Bösen. Ich nehme an, dass meine Songs die Unsittlichkeit befürworten, aber da ist auch immer ein wenig Schuld dabei. In Halo sage ich 'lass uns dem nachgeben', aber es gibt auch ein Gefühl dafür, dass es falsch ist. Dann ist da Blue Dress - das ist der perverse Song! - die Idee, einem Mädchen dabei zu zuschauen, wie es sich anzieht, und dabei zu realisieren, dass es das ist, what makes the world turn [dass es das Wichtigste auf der Welt ist]. World in My Eyes besagt, dass in diesem Moment nur Freude und Erfüllung zählen. Es ist ein positiver Song. Es macht mir nichts aus, wenn man hier auch Existenzialismus ins Spiel bringt, denn ich werde davon beeinflusst. Ich werde vermutlich von Camus, Kafka und Brecht ebenso beeinflusst, wie ich von Popsongs beeinflusst werde."
Da ich auch sehr oft nach World in My Eyes gefragt wurde - es ist nicht nur ein positiver Song, sondern vor allem die Beschreibung eines positiven Sexerlebnisses.

Martin: "Vielleicht hätten wir uns als Rockgruppe bezeichnen sollen. Wenn wir das getan hätten, hätten uns die Leute vielleicht ernster genommen. Aber das sind wir nicht. Wir sind eine Popgruppe und stolz darauf. Die einzigen Songs, die ich schreiben kann, sind Popsongs, egal, wie düster und seltsam manche Leute sie finden mögen. Wir haben das Album aus Spaß Violator genannt. Wir wollten mit dem extremsten, lächerlichsten Heavy-Metal-Titel rauskommen, der möglich war. Mal sehen, ob die Leute den Scherz verstehen werden. Als wir das Album Music for the Masses nannten, wurden wir beschuldigt, arrogant und überheblich zu sein. Es war nur ein Scherz in Bezug auf die Unkommerzialität. Es war alles, aber nicht Musik für die Massen!"
Die Querverbindungen zwischen DM und Metal sind in der Tat lustig. Während Martin seinen Spaß daran hatte, gleich drei DM-Alben (Violator, Ultra und Exciter) "metallische" Namen zu geben (man findet alle drei in vielfacher Ausfertigung im Metal wieder, sei es als Band- oder Albumname), gibt es auf der anderen Seite auch viele Metal-Bands, die DM-Songtitel verwenden. Um nur eins von vielen Beispielen zu nennen: 1991 brachte die Metal-Band Massacra ein Album mit dem Titel Enjoy the Violence heraus. Auch gibt es ein Metal-Tribut-Album mit vielen interessanten Versionen von DM-Songs. Und wenn man sich mit "Metalheads" unterhält, wird man feststellen, dass es darunter viele gibt, die DM mögen, "weil sie Substanz haben."

Alan: "Wir haben sehr viel mehr Humor, als man uns nachsagt. Vielleicht ist unserer oder Martins nur sehr speziell. Es ist keine schlechte Sache, ab und zu düster zu sein. Radio 1 wollte uns teilweise nicht spielen, aber sie werden dazu gezwungen, weil die Leute uns hören wollen. Es ist gut, dass es ein paar Bands wie unsere gibt, die einen Konterpunkt zu all dem lustig-lustig-Party-Kylie setzen."[7]
Dave: "Trotzdem mögen uns die Leute. Es hängt von den Songs ab, und der Mühe, die wir uns mit ihnen geben. Wir sind nie auf einen Zug aufgesprungen und haben einen Trend mitgemacht. Wir wollten nie für fünf Minuten groß sein und das war es dann. Wir haben uns verändert, und alle Veränderungen sind natürlich. Wir machen genau das, was wir wollen und wie wir es wollen. Wir lernen immer noch, versuchen, uns zu verbessern, im Gegensatz zu so vielen anderen Bands. Wir leben wirklich in unserer eigenen kleinen Welt.[8] Heutzutage sind Pop und Rock viel kontrollierter und normaler. Es ist traurig. Ich denke, das Musikbusiness ist daran selbst schuld, weil die Bands so manipuliert werden. Die Art, wie das Management die Bands verkauft. Ja, es ist traurig, dass es keine Rebellion mehr im Pop gibt. Das ist das, was mich früher an Bands wie Sham 69, The Clash und The Banshees interessiert hat. Das ist es, warum ich in einer Band sein wollte, verstehst du? Für mich war das die aufregendste Zeit meines Lebens. Zu der Zeit interessierte mich nichts anderes. Ich machte dieses klassische Ding - die Schule sausen lassen, mich nicht um die Examen kümmern. Nun schaue ich zurück, und wünschte, ich hätte es. Ich wünschte, ich hätte eine bessere Ausbildung. Hätte ein paar Sprachen gelernt. Wenn ich nach Frankreich, Italien oder Deutschland komme, realisiere ich, wie dumm ich bin. Ein dummer Engländer, der keine andere Sprache gelernt hat. Ein ignoranter Bastard."[9]

Dies alles klang in der Tat sehr viel ernsthafter als in den früheren Jahren, aber ein paar Highlights gab es dennoch und gelegentlich auch einen Rückfall in frühere Themen. Manchmal war die Band sogar selbst daran schuld.
So betrat Alan eine Hotelbar in Florida, in der sie zu einem Interview verabredet waren, und äußerte umgehend: "Ich wurde heute so etwa zwanzigmal als Schwuler beschimpft. Meistens Typen, die sich aus einem LKW lehnen. Die Leute sind hier ein bisschen zurück, wie?"
Dave: "Es ist der Haarschnitt. In den USA denken die Leute, du bist homosexuell, wenn du kurze Haare hast. Es sei denn, du bist bei den Marines. Wir müssen nur mit den Marines rumhängen."
Später schickte Dave den Bodyguard nach einem Orangensaft. Dies nutzte ein Fan, um sich ihm zu nähern: "Martin, kann ich ein Autogramm haben? Hast du einen Stift?"
"Sicher", erwiderte Dave lächelnd, "aber mein Name ist Dave."
Wenig später wiederholt sich die Szene mit einem anderen Fan: "Martin, kann ich dein Autogramm haben?"
Dave rollte mit den Augen, offensichtlich genervt: "Erstens ist mein Name Dave und zweitens habe ich keinen Stift!"[10]



Dave

(mit freundlicher Genehmigung von © Adrianna
- Das Bild wurde von ihr gemalt und von Dave signiert)



Am 07.05. erschien die Single Policy of Truth / Kaleid. Es wurden einige verschiedene Versionen von Policy of Truth veröffentlicht - den Beat Box Mix, den Capitol Mix und den Pavlov's Dub (all drei wurden von François Kevorkian geremixt) sowie den Trancentral Mix (von The KLF). Kaleid, ein Instrumentalstück, wurde als 7"-Mix, als When Worlds Mix (von Daniel Miller und George Holt) und als Remix (von Bruce Smith und Sean Oliver) veröffentlicht.
Die Worldviolation-Tour fiel im Vergleich zur Masses-Tour kürzer aus und teilte sich in drei Abschnitte auf. Um den vermehrten Erfolg in den USA zu nutzen, begann die Band am 28.05. mit dem USA-Leg und spielte dort bis zum 05.08. 42 Konzerte.
Bis auf den heutigen Tag wünschen sich viele Fans, es würde eine DVD zur Worldviolation geben. Zu den Gründen, warum damals keine DVD veröffentlicht wurde, sagt Alan: "Es wäre zu viel gewesen, nach 101 noch eine Live-LP zu veröffentlichen. Es kam uns so vor, als würden wir die Kuh damit zu sehr melken. Worldviolation kam einfach zu dicht nach Music for the Masses. Die 101 LP und der Film schienen DM live recht gut darzustellen, und wir fanden, dass es an der Zeit war, eine Pause einzulegen, was Live-Veröffentlichungen anbetraf. Ich bin sicher, dass es einige Aufnahmen von der Worldviolation gibt, aber ich weiß nicht, ob sie jemals veröffentlicht werden."

Laut Insideraussagen war die Worldviolation eine wilde, ausschweifende Tour, auf der alle Bandmitglieder Ecstasy konsumiert haben sollen. Während Dave seinen Drogenmissbrauch öffentlich zugegeben hat, ist es bei den anderen zwar offensichtlich, aber nicht eindeutig. Zwar gibt es in einer Biografie ein Zitat von Martin, in dem dieser zugibt, Ecstasy genommen zu haben, dennoch ist das mit Vorsicht zu genießen. Denn während Fletch in der gleichen Biografie abstreitet, jemals Drogen genommen zu haben, behauptet ein "Insider" in einer anderen Biografie das genaue Gegenteil.
Interviews und andere Aussagen der Bandmitglieder - mit Ausnahme von Dave - sind in Bezug auf dieses Thema immer recht vage.
Alan: "Martin wird sehr anlehnungsbedürftig, wenn er einen in der Krone hat. Er sammelt Wildfremde um sich und erzählt ihnen seine Lebensgeschichte, aber anders als Dave hat er bei seinen Exzessen nie ein Trümmerfeld hinterlassen. Vielleicht muss Dave Ärger machen, um sich selbst zu erniedrigen. Martin bleibt cool und vieles kommt nie ans Licht. Um ehrlich zu sein, war der Alkohol schlimmer als alles andere, aber während der Violator-Zeit spielten Drogen eine große Rolle: Ecstasy, Kokain - alles außer Heroin. Dann fing Dave mit Heroin an, während der Tour. Ich glaube, es muss an seiner Persönlichkeit liegen. Er braucht einfach das ultimativ Extreme."[11]
Martin: "Um ehrlich zu sein, mag ich es nicht, über Drogen zu reden. In Interviews fühle ich mich mit diesem Thema nicht wohl. Wir gingen zu einigen Rave-Partys. Ich entdeckte sie 1988, bevor ich anfing, Violator zu schreiben ..."
Fletch: "Ich glaube, die Antwort ist vielleicht ja."[12]
Martin (in einem anderen Interview): "Jeder macht wohl Erfahrungen mit Drogen, wenn etwas gut läuft und man sich am nächsten Tag entspannen kann. Aber für mich hielt das nicht lange an. Ich war danach immer wochenlang depressiv."[13]
Somit ist die Antwort - vielleicht! - ja. ;)

Weiterhin wurden laut Insidern jede Menge Groupies vernascht - sowohl während der Worldviolation als auch später bei der Devotional -, aber auch hier war es wieder nur Dave, der später offen bekannte, oft fremd gegangen zu sein. Bei den anderen wird es mit "ich hatte meinen Spaß" angedeutet, und es gibt ein Interview, bei dem sich eine "Dame" im Termin geirrt hat und zu früh in Martins Hotelzimmer erscheint, aber Aussagen dazu gibt es keine.
In Interviews mit anderen Musikern wird deutlich, dass es in den 1980ern und Anfang der 1990er ziemlich einfach war, so viele Groupies haben zu können, wie man nur wollte. Einer sagt gegenüber depechemodebiographie.de: "In den 1980ern und 1990ern war es viel einfacher, Groupies ins Bett zu bekommen. Heute ist das viel schwieriger geworden. Das liegt nicht so sehr an den Mädchen, aber alles ist irgendwie distanzierter. Man wird auch mehr beobachtet. Wenn du ein Groupie mit ins Hotel nimmst, steht das am nächsten Tag garantiert in irgendeinem Sch***-Forum."
Dass es keine Mädchen gab, die ihre Geschichten an Boulevardmagazine verkauften, erstaunt die Fangemeinde nur wenig. 41 Prozent der Befragten in der Umfrage von depechemodebiographie.de meinen, dass DM "nicht Mainstream genug sind, um ein generelles Interesse zu erzeugen", sodass die "Yellow Press an solchen Geschichten wohl auch nicht interessiert" gewesen wäre.


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Wie dem auch immer sei, ihr Lebensstil wurde in jedem Fall immer ausschweifender, und Dave war nun nicht mehr immer so entspannt. Bei den Partys verlor er mehr und mehr die Kontrolle und schlug immer häufiger über die Stränge.
Fletch: "Ich denke, er hatte das Gefühl, das Einzige, was er richtig konnte, war die Bühnenshow. Er war sehr emotional. Ich persönlich neigte dazu, ihm aus dem Weg zu gehen."[14]
1990 versuchte Dave noch, sich sehr diplomatisch auszudrücken, redete viel um den heißen Brei herum: "Unser Lebensstil hat seine Höhen und Tiefen, und es ist manchmal ein Kampf, die Dinge zusammenzuhalten, weil ich so viel unterwegs bin. Es ist ein massiver Druck, zu versuchen, eine Familie aufrechtzuerhalten und zur gleichen Zeit monatelange Tourneen zu machen. Ich möchte definitiv mehr Kinder, aber im Moment ist es wirklich schwierig. Als Jack geboren wurde, war ich in seinen ersten drei Wochen bei ihm, und dann war ich für den Rest des Jahres auf Tournee. Es ist ein schizophrenes Leben, und es verursacht Streit, aber ich liebe beide Teile meines Lebens so sehr, dass ich weitermache. Es wäre eine Lüge, zu sagen, wir wären den Verlockungen des Popstarlebens nicht erlegen. Ich denke, wir haben alles ausprobiert. Man kann von Dingen beeinflusst werden, wie Drogen oder Mädchen. Sie können deine Beziehung, deine Ehe, angreifen. Ich bin da selbst durch, und ich sah, ich würde die Dinge verlieren, die mir etwas bedeuten. Ich erkannte, wie oberflächlich diese On-the-road-Attraktionen wirklich sind. Ich rede hier von eigenen Erfahrungen, aber ich will das nicht vertiefen.[15] Man geht durch die Extreme - macht Blödsinn, Exzesse mit Alkohol und so - und man kommt viel weiser wieder raus. Ich bin jetzt ein Familienmann. Ich mag es, nach Hause zurückzukehren und Zeit mit meiner Frau und meinem kleinen Jungen zu verbringen, Alltagsdinge zu machen, wie jeder andere auch."[16]

Zu dieser Zeit war Dave noch damit beschäftigt, seine Ehe zu retten. Als es nichts mehr zu retten gab, hörte sich alles ganz anders an: "Ich bin fremd gegangen. Oft. Man macht sich selbst blind dafür und macht damit weiter. Es ist toll, so viele verschiedene Mädchen zu treffen und Spaß zu haben, aber dann realisiert man, wie sch*** man ist und wie das Leben anderer damit zerstört wird. Und es hat sich über die Jahre aufgebaut. Ich denke ... Nun, ich weiß, nun ... Ich denke, ich weiß ... dass meine Frau, meine Ex-Frau, mir vertraut hat. Und ich ging zurück zu ihr und ... ich habe nicht gelogen, weil Joanne mich nicht fragte. Ich bin sicher, sie hat es vermutet. Sie ist nicht dumm.[17] Ich fühlte mich gefangen von allem, was um mich herum war. Violator war ein riesiger Erfolg - und ich hätte glücklich sein müssen, aber ich war es nicht. Ich hatte alles, was ich wollte, aber ich fühlte mich verloren. Ich fühlte mich, als würde ich mich selbst nicht mehr kennen. Ich fühlte mich besch***, weil ich meine Frau andauernd betrog.[18] Ich fühlte mich sehr gelangweilt und sehr sicher. Ich fühlte mich in England sehr sicher, und ich mochte es nicht. Ich war da mit einer liebenden, sorgenden Ehefrau, einem Baby, einem großen Haus auf dem Land, ein paar Autos, und es fühlte sich nicht richtig an."[19]

Obendrein glaubte Dave, sich in Theresa verliebt zu haben. "Das war wie ein Hammerschlag. Man sieht sich selbst im Spiegel an und plötzlich ist alles sehr, sehr anders, die ganze Perspektive hat sich geändert. Theresa hat in mir Emotionen geweckt, die ich nicht kannte, wie Liebe. Ich denke, ich habe meine wahren Gefühle die meiste Zeit verdrängt, habe eine Menge Leute belogen, die annahmen, ich würde sie respektieren und lieben und für sie sorgen ..."[20]
Ebenfalls 1990 starb Daves leiblicher Vater, was für ihn einen schweren Schlag bedeutete und mit dazu beitrug, dass er den Boden unter den Füßen verlor.



Waiting For The Night

(Waiting for the Night - mit freundlicher Genehmigung von © Pablo Maza Castillo)



Vom 31.08. bis zum 12.09. erfolgte mit acht Konzerten in Australien und Japan der "Welt-Leg" der Tournee.
Am 17.09. erschien die Single World in My Eyes / Sea of Sin / Happiest Girl, ehe am 28.09. der europäische Teil der Tour begann, der nach 38 Konzerten am 27.11. in Birmingham endete.
Neben dem 7"-Mix wurden es noch weitere Versionen von World in My Eyes veröffentlicht - den Oil Tank Mix und Dub in My Eyes (beide von François Kevorkian), Mode to Joy und Mayhem Mode (beide von Jon Marsh). Es gab nie "offizielle" Versionen von den beiden B-Seiten. Happiest Girl wurde als Jack Mix (von François Kevorkian) veröffentlicht. Daneben gab es noch den Kiss-A-Mix (von François Kevorkian) und The Pulsating Orbital Mix (von Dr. Alex Paterson and Thrash). Sea of Sin wurde als Tonal Mix veröffentlicht. Weiterhin gab es noch eine Version mit den Namen Sensoria. Beide Versionen wurden von François Kevorkian angefertigt.
Zwischendrin erschien noch am 06.11. die Video-Compilation Strange Too. Anton Corbijn hatte alle Promotion-Videos für Violator gedreht. Auf Strange Too sind alle Videos zu den Singles enthalten (mit zwei leicht unterschiedlichen Versionen des Videos zu World in My Eyes) sowie Videos zu Halo und Clean.

Die Band zog sich in eine Pause zurück, die ihr nicht gut tun würde.
Fletch: "Ich denke, wir brauchen eine Pause, um so gut bleiben zu können wie jetzt, bzw. um uns - hoffentlich - noch weiter zu verbessern, müssen wir ein paar Energien sammeln. Das ist wichtig, um Inspirationen und neue Ideen zu bekommen. Somit kann es ein paar Jahre dauern, ehe eine neue Depeche Mode-Platte rauskommt."[21]
Wie eine Art Orakel im Hinblick darauf und auf die weitere Zukunft sagt Dave: "Ich frage mich, ob es uns in fünf Jahren noch geben wird. Es hängt davon ab, ob wir weiterhin Freunde bleiben und wie lange wir zusammen Musik machen wollen. Depeche Mode ist eine Gruppe von vier Leuten, und diese vier Leute prägen den Sound von Depeche Mode. Wenn eine dieser Personen die Band verlassen würde, wäre es nicht mehr Depeche Mode. Wenn wir uns trennen würden, wäre es das Ende."[22]
Natürlich wissen wir, dass er seine Meinung später ändern würde. Es muss jedoch gesagt werden, dass Alan bereits zu diesem Zeitpunkt mehr und mehr das Interesse an Tourneen verlor.
Ich denke, es ist einer der Gründe, warum er die Band schließlich verließ. Die meisten Leute tendieren dazu, sich nur eine Sache herauszupicken. Vielleicht verwirrt es sie, weil Alan im Laufe der Zeit so viele Gründe nannte. Einer davon war, nicht mehr viel Lust auf Tourneen gehabt und darüber nachgedacht zu haben, ob er das (und auch weiter im Popformat, in einer Band zu arbeiten) für den Rest seines Lebens machen wollte.
"Ich vermisse das Touren nicht", sagt Alan schon 1992, "oft, wenn man sich gerade auf einer langen Tournee befindet, fragt man sich, ob man das wirklich noch mal machen will."[23]
Er war daran interessiert, neue Wege zu erkunden - persönlich und musikalisch - und 1990/91 war ein Punkt, an dem er anfing, sich in eine andere Richtung zu entwickeln als der Rest der Band.






Quellenangaben:
[1] www.recoil.co.uk
[2] Entnommen aus: Faith, Hope and Depravity, Select, Dezember 1990. Autor: Andrew Harrison.
[3] Entnommen aus: Interview with Depeche Mode, The Videos 86>98, Mute MF033 und Videos 86>98+, Mute MF042. Regisseur: Sven Harding.
[4] Entnommen aus: User's Guide: Depeche Mode, Kingsize, Mai 2001. Autor: unbekannt
[5] Entnommen aus: Interview auf K-ROQ FM, L.A., Februar 1997. DJs: Kevin and Bean.
[6] Entnommen aus: Faith, Hope and Depravity, Select, Dezember 1990. Autor: Andrew Harrison.
[7] Entnommen aus: Sin Machine, NME, 17.02.1990. Autor: Stuart Maconie.
[8] Entnommen aus: Real Gahan Kid, Sky, März 1990. Autor: Paul Lester.
[9] Entnommen aus: Depeche Mode Hip it up and Start Again, Melody Maker, 10.03.1990. Autor: Jon Wilde.
[10] Entnommen aus: Violator, Alligator, NME, 07.07.1990. Autor: Jeff Giles.
[11] www.recoil.co.uk
[12] Entnommen aus: Mode Ahead, Muzik, Juli 2001. Autor: Ralph Moore.
[13] Entnommen aus: Just Can't Get Enough, Uncut, Mai 2001. Autor: Stephen Dalton.
[14] Entnommen aus: In the Mode, Details, April 1993. Autor: William Shaw.
[15] Entnommen aus: Real Gahan Kid, Sky, März 1990. Autor: Paul Lester.
[16] Entnommen aus: Depeche Mode Hip it up and Start Again, Melody Maker, 10.03.1990. Autor: Jon Wilde.
[17] Entnommen aus: In the Mode, Details, April 1993. Autor: William Shaw.
[18] Entnommen aus: I Never Wanted to Destroy Depeche Mode, Melody Maker, 03.04.1993. Autor: Jennifer Nine.
[19] Entnommen aus: The Basildon Bond, The Times Magazine, 14.04.2001. Autor: Paul Connolly.
[20] Entnommen aus: In the Mode, Details, April 1993. Autor: William Shaw.
[21] Entnommen aus: Depeche Mode - Interview with the band, ULTRA Magazine, Mai 1990. Autor: Jan Gradvall.
[22] Entnommen aus: Depeche Mode Hip it up and Start Again, Melody Maker, 10.03.1990. Autor: Jon Wilde.
[23] Entnommen aus: Interview auf KROQ, 17.04.1992. Interviewer: Richard Blade.



Biografiefaden: 1991

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