2006

Am 28.10. begann Touring the Angel in New York. Der amerikanische Teil der Tour umfasste 26 Konzerte und endete am 11.12.
(Übrigens - ich wurde von einem Leser gefragt, wann Martin anfing, auf der Bühne Flügel zu tragen. Das war während der Exciter-Tour. Offenbar hat er eine Vorliebe für Engel. Der gleiche Leser fragte auch, ob die Bandmitglieder Designer haben, die die Bühnenkleidung anfertigen. Ja, und soweit ich weiß, hat jedes Mitglied einen eigenen Designer.)
Martin: "Jede Tour ist eine Mischung aus Aufregung und Angst. Andy sagt immer, dass etwas nicht okay ist, wenn man keinen Adrenalinrausch hat. Und das stimmt. Es ist eine lange Tour. Wir beginnen Anfang November und spielen bis Ende April. Falls es uns Spaß macht, werden wir bis August verlängern. Auf Tour zu sein, ist immer sehr gruselig. Für mich sind die Shows nicht so gruselig, aber für Dave als Frontmann sind sie es schon. Dave ist ein sehr guter Frontmann, und er verbraucht bei jedem Konzert eine Menge Energie. Was ich anstrengend finde, sind nicht so sehr die Konzerte, es ist das ganze Drumherum. Es sind die Reisen und die verschiedenen Hotels. Man trifft auch immer jemanden, der einen irgendwohin mitnehmen will. Wir sind inzwischen ein wenig älter, und ich denke, wir sollten anfangen, solche Angebote abzulehnen."[1]

Am 12.12. erschien die Single A Pain That I'm Used To / Newborn. Die Single beinhaltete Remixe von Goldfrapp und Jacques Lu Cont. Es wurden auch zwei Radioversionen von A Pain That I'm Used To veröffentlicht. Obwohl in der Presseinformation Better Days als B-Seite angegeben war, wurde es Newborn. Better Days wurde stattdessen die B-Seite der folgenden Single, Suffer Well. Die Single wurde nur in Europa physikalisch veröffentlicht. Das Video zu A Pain That I'm Used To wurde wiederum von Uwe Flade gedreht.
Am 13.01. startete der zweite Teil der Tour in Dresden. Der europäische Teil umfasste 52 Konzerte und endete am 03.04. in London.
Zwischendrin erschien am 27.03. die Single Suffer Well / Better Days. Es war die erste Single, die von Dave geschrieben wurde. Sie war in der Kategorie Best Dance Recording bei den Grammy Awards 2007 nominiert, gewann aber nicht. Das Video wurde Mitte Dezember 2005 von Anton Corbijn in Kalifornien gedreht. Es war das erste Mal nach einigen Jahren Pause, dass Corbijn wieder ein Video für DM machte.

Über die Zeile Where were you when I fell from grace in Suffer Well sagt Dave: "Da ist schon ein kleiner Stich drin. Ich habe es nicht so geschrieben, aber als ich es sang, habe ich mir Martin vorgestellt. Es war: 'Warum hast du nicht verstanden, dass ich dich am meisten brauchte? Wo waren die verdammten Antworten, als ich sie am meisten brauchte?' Als ich über den Boden in dem Apartment in Santa Monica kroch, fühlte ich mich sterben. Ich fühlte, dass meine Seele weg war und innerlich schrie ich: 'Wo zum Teufel bist du?'"
Dies ist vermutlich eine jener Aussagen Dave, von denen Martin sagte, er würde 'Was?!' denken. Ich denke nicht, dass Dave das wirklich so gemeint hat. Er sprang hier auf eine Suggestivfrage an, zu der sich diese Antwort offenbar gut machte.
Martin: "Ich bin emotional sehr abgeschottet. Manchmal finde ich es schwierig, mit dem Leben im Allgemeinen zurechtzukommen. Musik hilft mir dabei. Es ist so was wie eine Therapie. Nur in meinen Songs kann ich meine Emotionen wirklich ausdrücken. Es gibt eine Menge Dinge, für die ich mich schuldig fühle. Ich bin gerade mitten in einer Scheidung. Ich habe drei Kinder. Es kommt mir vor, als hätte ich meine Ehe zerstört. Ich fühle mich wegen meiner Kinder schuldig." - Von diesem Thema handelt Precious - "Vielleicht war die Ehe zum Teil eine Scharade. Vielleicht fühle ich mich deswegen schuldig. Ich weiß nicht seit wie vielen Jahren. Wir reden nicht sehr viel miteinander in der Band. Ich denke, tief drinnen wollen wir alle das Gleiche, aber es genügt, dass einer was Falsches sagt. Aber warum nicht auch die andere Seite betrachten? Wir sind seit 25 Jahren zusammen, also muss daran auch was richtig sein."[2]



Touring The Angel

(mit freundlicher Genehmigung von © Jérôme Pouille)



Vom 27.04. bis zum 21.05. kehrte die Band für 12 Konzerte in die USA, nach Kanada und Mexiko zurück.
Ab dem 02.06. begann der zweite europäische Teil, der 33 Konzerte umfasste - darunter sehr viele Festivals - und am 01.08. in Athen endete.
Zwischendrin wurde am 05.06. die Single John the Revelator / Lilian veröffentlicht. Es war die erste Doppel-A-Seiten-Veröffentlichung seit Blasphemous Rumours / Somebody 1984. John the Revelator wurde für die Single um einige Sekunden gekürzt, während Lilian leicht geremixt wurde. Auch das Intro wurde gekürzt.
Übrigens basiert John the Revelator auf einem Gospel/Folk-Song, der Anfang des 20. Jahrhunderts von Bands / Künstlern wie Son House, Blind Willie Johnson und später von The Holy Modal Rounders, The Blues Brothers and John Mellencamp gesungen wurde. Es handelt sich jedoch nicht um einen Coversong in dem Sinne, sondern arbeitet nur mit Elementen des Originalsongs.
Im Anschluss folgte am 25.09. der Video-Konzertmitschnitt Touring the Angel: Live in Milan. Er war von Blue Leach am 18. und 19.02.2006 im Fila Forum bei Mailand gefilmt worden.

Am 30.10. erschien die Single Martyr, die im Zusammenhang mit Best of Depeche Mode Volume One stand, welche am 13.11. veröffentlicht wurde.
Ursprünglich Martyr for Love genannt, soll der Song zunächst auf der Liste möglicher Singles zu Playing the Angel gestanden haben, schaffte es am Ende jedoch nicht auf das Album.
Fletch (über das Best of): "Es ist keine Veröffentlichung für den großen Fan. Der hat die Lieder sowieso. Die Platte richtet sich mehr an Leute, die nur wenige DM-Platten oder auch gar keine haben. Wir haben viel diskutiert, um die Songs auszuwählen. Es war schwer. Jeder große DM-Fan hat wahrscheinlich eine komplett andere Liste mit Lieblingssongs. Ich verbinde mit jedem Song viele Erinnerungen, zum Beispiel, wie wir ihn aufgenommen haben, und ob wir dabei gute oder schlechte Zeiten hatten."[3]


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Alles in allem war Playing the Angel und auch die dazu gehörige Tour ein großer Erfolg. Vielen Fans gefiel das lebhaftere, kantigere Playing the Angel besser als Exciter, und es brachte viele neue (junge) Fans hinzu. Auch das Internet bzw. die Tatsache, dass 2006 weitaus mehr Haushalte einen Internetanschluss hatten als 2001, hatte seinen Anteil daran. Viele Fans vernetzten sich nun, um sich über ihre Sammelleidenschaft und Interessen auszutauschen oder um sich zu Partys und Konzerten zu verabreden. Die Gemeinschaft erlebte auf gewisse Weise einen Aufschwung, wenngleich sie sich auf eine etwas andere Ebene verlagerte.
Dies funktioniert - zumindest im Netz - nicht immer gut, zumal gerade einige "alte" Fans zwar immer noch an "ihrer" Band hängen, aber zunehmend Probleme mit den neuen Pfaden haben, die DM einschlagen, was wiederum zu Problemen mit neueren Fans führt. Mehr und mehr entwickeln sich daraus zwei Communities - die "Fans-die-Alan-zurück-wollen-Gemeinschaft" und die "ich-mag-das-meiste-was-sie-machen-who-the-f***-is-Alan-Gemeinschaft", die oft auch eine vollkommen unterschiedliche Auffassung von "Fantum" haben.
Während die "alten Fans" oft ihre Schwierigkeiten mit den neueren Alben haben, haben die jüngeren Fans oft keinen Zugang zu den sehr frühen Alben. Dennoch ist es interessant, zu sehen, dass die meisten von ihnen trotzdem Black Celebration, Music for the Masses, Violator oder SOFAD als ihre Lieblingsalben benennen - neben den neueren, durch die sie auf die Band aufmerksam wurden. Es gibt nur wenige Ausnahmen, die sagen, dass sie "wegen der ganzen Drogengeschichten" Probleme mit Violator bzw. SOFAD hätten.

Jedes der Alben der "Post-Alan-Ära" hatte scharfe Kritiker (wenngleich Kritiker der Kritiker behaupten, auch ein Klassiker wie Violator habe zum Zeitpunkt des Erscheinens schlechte Kritiken gehabt), und diese kritischen Stimmen scheinen von Album zu Album lauter zu werden. Vor allem Sounds of the Universe (SOTU) spaltete die Fangemeinde noch stärker als zuvor Exciter.
Natürlich gibt es immer noch genügend treue Anhänger - und eben auch viele neue Fans - aber es ist auffällig, dass sich bei der Fanbefragung von depechemodebiographie.de mit 34 Prozent die meisten Antworten auf die "frühere Zeit" bezogen und 24 Prozent davon meinten, "dass der Sound (ohne Alan)" heute "nicht mehr so vielschichtig / reich / bombastisch / atmosphärisch / orchestral" sei. Und selbst im Bezug auf heutige Zeiten meinten 24 Prozent, dass die Qualität gesunken sei. Interessant auch, dass 77 Prozent der Antworten in Bezug auf frühere Zeiten positiv sind, während es im Bezug auf heutige Zeiten nur 54 Prozent sind. Dass sie ihren "typischen Sound verloren" haben, ist dabei einer der zentralen Punkte in der endlosen "Alan-Diskussion". Die Fanbefragung deckt sich hierbei mit allgemeinen Beobachtungen in diversen sozialen Netzwerken.

Hierzu habe ich ein passendes Zitat von Bruce Dickinson (Iron Maiden) gefunden. Natürlich bezieht er sich auf Iron Maiden, doch es passt auch zu DM. "Ich glaube, dass Fans allgemein altmodisch sind - egal, wovon sie begeistert sind. Denn in dem Moment, in dem man etwas entdeckt, will man diesen Zustand erhalten. Wenn du für einen Maler schwärmst, der dir eines Tages erklärt, dass er nicht mehr malt, sondern nur noch Skulpturen modelliert, wirst du enttäuscht sein. So ähnlich verhält es sich auch in der Musikbranche. Musiker sind unbeständig, immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, um uns nicht selbst zu langweilen. Doch die Fans werden nur von den Liedern unterhalten, die sie wirklich mögen: Sie wollen keine komplett neuen Sachen, sondern Konstanz."[4]






Quellenangaben:
[1] Entnommen aus: Taken from: Angels by Design, Santa Barbara Independent, 17.11.2005. Autor: Brett Leigh Dicks.
[2] Entnommen aus: Songs of Innocence and Experience, Mojo, November 2005. Autor: Danny Eccleston.
[3] Entnommen aus: Depeche Mode: Das haben wir uns verdient, ZEIT Online, Tagesspiegel, 06.11.2006, Autor: Nadine Emmerich.
[4] Entnommen aus: Artikel im Metal Hammer, April 2002, Autor: Matthias Mineur.





Biografiefaden: 2007

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