INTERVIEW MIT STEVE LYON

Im Juni 2013 hatte ich die Gelegenheit, mit Steve Lyon zu sprechen.
Er begann seine Karriere als Toningenieur und Musikproduzent in den späten 1980ern und verbrachte seine "Lehrjahre" bei keinem Geringeren als Rolling Stones / The Who-Produzent Glyn Jones.
Lyon arbeitete als Toningenieur (Violator, Death's Door und SOFAD) und als Co-Produzent (SOFAD Live und Devotional) von ca. 1989 bis 1993 für Depeche Mode.
Weiterhin war er an der Produktion von Nitzer Ebbs Album Ebbhead (1991) beteiligt, bei dem Alan der Co-Produzent war, sowie an der Produktion der Recoil-Alben Bloodline (1992) und Unsound Methods (1997).
Später arbeitete Steve Lyon als Produzent von Bands wie z.B. Ampliflier, The Cure, Reamonn, Reinvented, Paradise Lost oder Neo. Auch war er an Produktionen von Dave Stewart, Suzanne Vega und Paul McCartney beteiligt.
Seit 2007 produziert und managt er die Band Suzerain.

Bitte beachten: Die nun folgenden Interviewabschnitte folgen keinem sturen Frage-Antwort-Konstrukt. Sie entstammen vielmehr einem längeren Gespräch. Auch beziehen sie sich auf bestimmte Zusammenhänge innerhalb der Biografie. Es ist daher sinnvoll, die Antworten auch im Kontext des jeweiligen Kapitels zu lesen.




Depechemodebiographie.de: Ich interessiere mich vor allem für die Teamarbeit. Die Bandmitglieder sagten, sie hätten ein sehr organisiertes Team mit ausgeprägten Rollen gehabt. Martin schrieb die Songs, Alan war für die Musik zuständig, wobei Martin ab und zu Einfluss nahm und sagte, was er mochte oder nicht mochte. Es wurde gesagt, dass Fletch für die Organisation zuständig und so was wie ein Sprecher für Martin war. Aber es wurde nie so richtig gesagt, welche Rolle Dave innerhalb des Teams hatte (abgesehen davon, dass er sang und für die Live-Performance zuständig war.)

Steve Lyon: "Ich kam zur Produktion von Violator hinzu, als ein Song fertig und die übrigen Songs etwa zur Hälfte fertig waren, aber noch keinen Gesang hatten. Dave war nicht wirklich daran beteiligt, was das Kreieren des Sounds oder die Grundrichtung der Songs anbelangte. Er kam und sang und leistete fantastische Arbeit, war aber eben nicht wirklich an der kreativen Arbeit beteiligt. Ich denke, er war in seiner Rolle aber dennoch sehr positiv und unterstützte uns bei dem, was wir machten. Ich denke, das Team funktionierte wirklich gut. Es gab kaum Konflikte. Sie hatten einen gewissen Stil und einen Sound entwickelt und wussten, dass dies so vorher bei Alben wie Black Celebration oder Music for the Masses funktioniert hatte. Sie hatten bewiesen, dass das Team funktionierte. In anderen Szenarien, in denen ich gearbeitet habe, war das nicht der Fall. Andere Bands arbeiten total anders, und das ist der Grund, warum Depeche im Studio so gut funktionierte. Es waren auch nie irgendwelche Türen verschlossen. Ganz im Gegenteil. Je mehr man einbringen konnte ... weißt du, ich konnte mich an Alan und Flood wenden und fragen: 'Wie ist es hiermit? Was ist mit diesem Sound?' ... umso aufgeregter wurde die gesamte Crew."
(Antwort im Kontext -> 1987)
"Manchmal kam Martin rein und sagte: 'Ich mag dieses nicht' und 'ich mag jenes nicht wirklich', und dann versuchten wir, eine andere Version zu erarbeiten. Aber er hatte Vertrauen zu uns dreien, Alan, Flood und mir. Auch Fletch, weißt du, Fletch kam rein, sagte, was er dachte, aber überließ es dann uns, weil er wusste, es würde etwas Gutes dabei herauskommen."
(Antwort im Kontext -> 2000)

Depechemodebiographie.de: Alan sprach einmal von den beiden unterschiedlichen Seiten der Band, der konservativen und der abenteuerlichen. Ich denke, er meinte Martin und Fletch mit der konservativen Seite und sich selbst und Dave mit der abenteuerlichen Seite. Und ich überlegte, ob, als es während der Aufnahmen zu SOFAD schwierig wurde, weil Daves Rolle zuvor vielleicht wichtiger gewesen war, als man es allgemeinhin annimmt. Dass er z.B. für den Teamgeist und die Balance innerhalb der Gruppe wichtig gewesen war.

Steve Lyon: "Nun, eine Band ist eine Balance, und wenn diese Balance aus dem Gleichgewicht gerät ... unglücklicherweise brach die Band auseinander ... aber, ja, Dave und Alan waren die Abenteuerlustigen in Bezug auf das Material. Ich kann mich erinnern, in Spanien zu sitzen und mit Dave über die Red Hot Chili Peppers zu reden, eine Band, die Alan ebenfalls mochte, über die Musik, die aus Seattle kam, amerikanische Rockbands, Nirvana zum ersten Mal auf MTV zu hören, Perry Farrells Band Jane's Addiction ... Deren Album kam raus, als wir SOFAD aufnahmen. Dave war ein großer Fan, und ich setzte mich mit ihm hin und hörte mir das Album an, und es war etwas, was Martin und Fletch nie gehört haben. Auch Flood war von vielen Dingen beeinflusst. Es war ein wirklich beeindruckendes Team, muss ich sagen. Meine Aufgabe bestand darin, den Sound weiterzuentwickeln und für Alan und Flood eine Plattform zu kreieren, auf der sie arbeiten konnten. Ich denke, es war eine sehr kreative Zeit. Fletch kann eine ziemlich negative Person sein in Bezug darauf, was als Nächstes passieren könnte, und ich denke, er machte sich Sorgen wegen der Veränderung von Violator hin zu SOFAD. Alan, Flood und ich machten uns deshalb keine Sorgen, genauso wenig wie Dave. Martin war so in der Mitte, denke ich ... aber wir wussten alle, dass wir dabei waren, etwas Gutes zu schaffen. Später waren sie sehr überrascht über den Erfolg von SOFAD, besonders, wenn man bedenkt, was vorher gesagt worden war, so was wie: 'Ist das nicht zu weit weg von Violator?' Aber wenn man einen Depeche-Fan nach seinen Lieblingsalben fragt, wird er vermutlich Violator und SOFAD nennen. Als ich anfing, mit ihnen zu arbeiten, kannte ich ihren Backkatalog nicht. Ich kannte ein paar alte Singles und ein paar alte Songs, aber nicht so richtig. Ich erinnere mich, dass wir eine Pause von den Aufnahmen in London machten, und Mute schickte mir den gesamten Backkatalog von Depeche. Ich setzte mich am Wochenende hin, hörte mir das an und war total begeistert. Ich war so: 'Wow, wie konnte mir das entgehen?' Und ich erinnere mich, dass ich mit Alan und Flood darüber sprach, und für sie das eine gute Sache war. Für die Kreativität war das gut, weil man dann keine Angst hat, Ideen vorzubringen oder den Sound zu verändern. Wenn man die Geschichte der Band kennt und ihren Erfolg, kann man Angst bekommen, und für die Kreativität ist das schlecht. Man kann sich immer rückwärts bewegen. Der Schritt nach vorne ist das Schwierigste."
(Antwort im Kontext -> 1991)



Steve Lyon

(Mit freundlicher Genehmigung von © Steve Lyon)



Depechemodebiographie.de: Was ich bei dieser Biografie versuche, ist, ein wenig den Mythos über all den Schmerz und das Leiden abzumildern. Die meisten Biografien und Artikel handeln hauptsächlich von den dunklen Seiten und von allem von Drogen, Drogen und Drogen ...

Steve Lyon: "Nun, gegen Ende der Zeit, in der ich mit ihnen arbeitete, in Spanien und in Deutschland, war es offensichtlich, dass es Dave nicht gut ging. Alle versuchten, ihm zu helfen, die Band, ich, Flood, Daniel Miller. Jeder konnte sehen, dass er eine schwierige Zeit durchmachte. Aber es hatte keinen Einfluss auf die Kreativität. Wenn ich auf diese Zeit zurückblicke, Violator, Violator-Tour, die Prä-Produktion von SOFAD ... ich würde nicht sagen, dass es eine düstere, schwierige Zeit war. Eher im Gegenteil - ich hatte eine großartige Zeit. Sie sind nette Typen, und es machte Spaß, mit ihnen auszugehen. Ich kann mich erinnern, wie wir über die Reeperbahn in Deutschland gegangen sind, mit der Band und der ganzen Crew, das hat wirklich Spaß gemacht! Wir machten uns keine Gedanken über Fans oder so, sondern hatten einfach eine gute Zeit. Wenn wir in das Hotel zurückkehrten, in dem wir in Hamburg wohnten, saßen wir am Klavier, spielten, sangen, Fans kamen rein, schauten zu ... es war eine sehr gute, kreative Zeit. Nur Dave ging es leider nicht so gut, aber es hatte keinen Einfluss darauf, was wir machen."
(Antwort im Kontext -> 1992)

Depechemodebiographie.de: Ich denke, dass es wirklich zwei gänzlich unterschiedliche Seiten gab. Wenn man die Aussagen der Bandmitglieder aufmerksam liest, sieht man, dass sie zwar Probleme hatten, aber auch jede Menge Spaß. Aber ... ich versuche auch zu verstehen, warum ihre Arbeitsbeziehungen irgendwann nicht mehr so richtig funktionierten. Ich denke, dass sich Alan und Martin in Bezug auf ihren musikalischen Ansatz vielleicht irgendwann einfach in unterschiedliche Richtungen entwickelten.

Steve Lyon: "Ihr Musikgeschmack war sehr unterschiedlich. Und ich denke, dass es die Mischung aus dem, was sie machten, war, was es funktionieren ließ, um ehrlich zu sein. Ich erinnere mich, wie ich in dem Studio in Spanien Martin in seinem Zimmer besuchte, und er hörte Soul Musik, Gospel, Elvis, Elektromusik aus den 1980er ..., er hatte einen sehr breitgefächerten Geschmack. Das Gleiche gilt auch für Alan. Wenn man sich Recoil-Songs anhört ... zum Beispiel das Stück, das wir mit Moby aufgenommen haben [Curse], und wenn man sich Mobys Solosachen anhört, die sind in etwa identisch mit dem, was er mit Alan aufgenommen hat. Ich denke nicht, dass Martin und Alan wirklich einen total unterschiedlichen musikalischen Ansatz hatten, oder zumindest stellte es kein großes Problem dar."
(Antwort im Kontext -> 1992)
"Ich weiß wirklich nicht, warum Alan sich dazu entschloss, die Band zu verlassen. Ich wusste es, bevor es bekannt wurde. Ich weiß nicht, ob er es noch jemandem erzählte, aber ich wusste, dass er gehen würde. Ich denke, es ist wirklich schade, denn die Arbeitsbeziehungen und vor allem der Erfolg, den sie hatten, waren gut. Als wir zusammen arbeiteten, war es toll. Es ist eine echte Schande, dass er gegangen ist. Manchmal müssen Dinge zerbrechen, damit sie wieder zusammenpassen. Also mal abwarten. Sie waren so lange zusammen in einer Band, und er nahm eine wirklich führende Rolle in der Band ein, und es eine Schande, dass sie nicht mehr zusammenarbeiten."
(Antwort im Kontext -> 1995)

Depechemodebiographie.de: Du hast auch zusammen mit Alan an Nitzer Ebbs Album Ebbhead gearbeitet. Er war dabei der Produzent, richtig?

Steve Lyon: "Er war der Co-Produzent, zunächst zusammen mit Flood. Dann stieg Flood aus dem Projekt aus, um mit U2 zu arbeiten, und ich brachte es zusammen mit Alan zu Ende."

Depechemodebiographie.de: Hatte Alan bei anderen Projekten andere Arbeitsmethoden im Vergleich zu Depeche Mode-Projekten?

Steve Lyon: "Nicht wirklich. Es war ziemlich die gleiche Methode. Es gab eine Reihe von Nitzer Ebb-Songs, die in dieser Zeit entstanden, und er hatte eine eindeutige Meinung über sie. Aber es war nicht seine Band. Er hielt sich daher zurück. Das hätte er bei Depeche nicht unbedingt gemacht. Aber ansonsten war die Arbeit recht ähnlich zu der bei Depeche. Im Laufe der Zeit hat Alan sicher einen gewissen Stil entwickelt, so, wie es die meisten machen."

Depechemodebiographie.de: Ich bin ein großer Fan von Host, dem sogenannten Depeche Mode-Album von Paradise Lost. Ich habe es nie als solches betrachtet, obwohl so viele Leute sagen, dass es wie Depeche klingt. Ich habe es immer eher als den Versuch angesehen, Goth Metal mit Streichern und Synthesizern aufzunehmen. Aber dann fiel mir zum ersten Mal auf, dass du dieses Album produziert hast. Hast du etwas von Alans Stil in deine eigene Arbeit übernommen?

Steve Lyon: "Ja, eine Menge. Aber die Sache mit Paradise Lost war so ... Es war nicht das erste Mal, dass sie mich fragte. Sie fragten mich vier oder fünf Mal, ob ich mit ihnen arbeiten würde, und ich sagte immer 'Nein'. Dann sprach ich mit Greg [Mackintosh] und Nick [Holmes] von Paradise Lost, und sie sagten mir, dass sie ein wirklich anderes Album machen wollten. Und ich fragte: 'Okay, und welche Art von Album wollt ihr machen?' Und sie sagten: 'Wir wollen kein Heavy Rock Album machen, es soll vollkommen anders werden.' Und ich sagte: 'Okay, dann lasst uns mal sehen, wie wir miteinander auskommen. Lasst uns anfangen.' Zu dieser Zeit ... ich hatte gerade die Arbeiten mit The Cure beendet, glaube ich, ja, ich arbeitete erst mit Depeche, dann mit The Cure und dann mit Paradise Lost ... Ich habe gehört, was die Leute über dieses Album sagen, aber ... Das ist das, was sie wollten, und das ist das, was siebekommen haben. Es war wirklich ein sehr anderes Album für ihre Verhältnisse. Es war auch recht erfolgreich. Sie waren vor diesem Album erfolgreich und auch nach mir, aber sie hatten eine andere Art von Erfolg mit diesem Album. Weißt du, die Demos waren nicht sehr weit weg vom späteren Endergebnis. Es ist wirklich das Album, das sie machen wollten. Eine Band weiß immer, was sie will. Ein Produzent ist die Person in der Mitte, die eine externe Stimme hineinbringt. Ich denke, es ist ein Kompliment, [dass es einige Leute als Depeche Mode-Album bezeichnen]. Ich habe es desöfteren gehört, aber es zeigt nur, was sie wollten. Ich denke, das Nitzer Ebb-Album ist auch ein wenig ein Depeche Mode-Album, aber vielleicht ist das der Grund, weshalb sie Alan und Flood als Produzenten wollten."

Später, als ich ihm das transkribierte Interview zeigte, um sicher zu gehen, dass alle Zitate korrekt und im richtigen Kontext wiedergegeben waren, las er dabei den Teil, bei dem Alan über das Zusammenstellen der Tapes für die Devotional sprach, wobei das System zusammengebrochen war und einen Teil der vorherigen Arbeit zunichte gemacht hatte.
Hierzu fügte Steve Lyon an: "Alan und ich hatten die Zeit im Olympic [in London] beendet, aber immer noch einen Berg Arbeit vor uns. Alan wollte auch noch etwas Live-Schlagzeug einspielen, also zogen wir in sein Haus um. Ich erinnere mich, wie wir an unserem letzten Abend in den Olympic Studios sagten: 'Okay, Pub!' Aber ich sagte: 'Warte, ich werde von dem Roland die Samples auf den 32 Mitsubishi überspielen, um ein Backup zu haben.' Also stellte ich das ein, drückte auf Aufnahme, und wir gingen ein Bier trinken. Zum Glück hatte ich das gemacht, denn es rettete uns, als das System eine Woche später zusammenbrach. Dann hätten wir absolut alles verloren, die Arbeit von zwei Monaten."
(Anwort im Kontext -> 1993)

Hier kannst du das Originalinterview in Englisch lesen.

steve-lyon.com



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